Die Wege der Theoriegeschichte sind zwar nicht unergründlich, mitunter jedoch verschlungen genug, um an ihnen irre zu werden. Im Fall Heideggers betrifft dies vorderhand die Debatte um seine Verbannung aus dem philosophischen Curriculum, die Frankreich seit langem, Deutschland erst seit der Publikation seiner 'Schwarzen Notizhefte' 2014/15 beschäftigt. [...] Wollte man aber Heideggers Philosophie als von Grund auf nationalsozialistisch verwerfen, dann wäre es wohl konsequent, auch seine offiziellen und inoffiziellen Schüler:innen aus den Curricula zu streichen, etwa Rudolf Bultmann, Hannah Arendt, Jean-Paul Sartre, Jacques Lacan, Maurice Merleau-Ponty, Hans-Georg Gadamer, Günther Anders, Paul Ricoeur, Michel Foucault, Jacques Derrida, Emmanuel Levinas, Giorgio Agamben - womit evident der Pfad jeder sinnvollen Theoriegeschichte verlassen wäre. Davor, dass es sich bei der Konjunktur insbesondere der genannten französischen Theoretiker in den deutschen Geisteswissenschaften spätestens seit den 1980er Jahren lediglich um Re-Import, also Heimkehr des via Frankreich 'gereinigten' deutschen Irrationalismus handle, hat Manfred Frank bereits 1988 gewarnt: "Mir scheint, hier saugen die jüngeren Deutschen begierig, unter dem Vorgeben der Öffnung ins Französisch-Internationale, ihre eigene nach dem Dritten Reich unterbrochene irrationalistische Tradition wieder ein". Indes besteht immer auch die Möglichkeit - nach Heidegger und seinem Gewährsmann Hölderlin sogar die Notwendigkeit -, dass der von zu Hause Fortgegangene als ein anderer, fern der Heimat Gewandelter wiederkehrt, wie auch, dass die Heimat, in die er zurückkehrt, nie dieselbe ist, die er zurückgelassen hat. Um die Frage nach Heimkunft und Rückkehr in ihrer strukturellen, logischen und poetischen Dynamik mit derjenigen nach Heideggers philosophischem Erbe zu verknüpfen, mag es also angehen, noch einmal auf ihn zurückzukommen, und zwar anhand eines Textes, der seinerseits zu Friedrich Hölderlin zurückkehrt; genauer: zu dessen berühmter Elegie "Heimkunft/An die Verwandten", deren biographischen Anlass die Heimkehr des Dichters nach seiner erneuten Entlassung als Hauslehrer im Frühjahr 1801 bildet. Die Rede ist von Heideggers gleichfalls "Heimkunft/an die Verwandten" betitelter Gedenkrede zu Hölderlins 100. Todestag, gehalten im Juni 1943 in der Aula der Universität Freiburg und gedruckt 1944 in den Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung. Dabei kommt es auch auf die Datierung beider Texte an: Hölderlins Elegie bezieht sich auf den Frieden von Lunéville am 9. Februar 1801, der den Zweiten Koalitionskrieg des alten Reiches und seiner Verbündeten gegen Frankreich beendet und dessen freudige Botschaft Hölderlins Gedicht dem heimischen Nürtingen übermittelt - ein poetischer Triumphzug also, wenigstens auf den ersten Blick. Heideggers Rede kommt auf diesen dichterischen Triumph zurück, nur wenige Monate nach der Schlacht um Stalingrad, als Weltkrieg und Drittes Reich verloren sind und die einzigen, die (wenn überhaupt) heimkehren, traumatisierte und versehrte Soldaten.
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