Das Thema literarischer Kanon, um das es eigentlich gehen soll, rückt erst im letzten Drittel meines Aufsatzes ins Zentrum meiner Ausführungen. Das wirkt auf den ersten Blick wie eine Themenverfehlung, ist aber keine. Die klassische Kanon-Frage "Was sollen Schüler/innen in der Sekundarstufe II lesen?" ist im Bildungsdiskurs der Gegenwart so sehr an den Rand gerückt, dass sie fast nicht mehr auffindbar ist. Daher spiegelt die thematische Struktur meines Aufsatzes die Struktur einer Schulwirklichkeit, der die Inhalte abhandenkommen, weil sie nur mehr nach "brauchbaren" Fähigkeiten und Fertigkeiten fragt und dabei zu vergessen scheint, dass diese Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht durch beliebige Inhalte zu erwerben sind – und wenn, dann bestenfalls als billige, allzu leichtgewichtige Imitate jener "Kompetenzen", die tatsächlich diesen Namen verdienen würden. Ich erläutere zunächst den dominanten Stellenwert des Begriffs "Kompetenz" in der gegenwärtigen Bildungspolitik, gebe dann bildungstheoretischen Positionen Raum, die den herrschenden Kompetenzbegriff kritisieren, erörtere in einem dritten Teil die Relevanz von Kompetenzen für die Ziele und Arbeitsweisen des Deutschunterrichts und widme mich erst im vierten und fünften Abschnitt der Frage, welche Auswirkungen die "Kompetenzorientierung" für den Literaturunterricht im Allgemeinen und die Kanonfrage im Besonderen hat und in näherer Zukunft haben könnte. The educational discourse has been determined for many years by the term competence orientation. The definition of the term competence follows a utilitarian understanding of education. Thisbecomes obvious in the term human capital. Critics such as Hans-Peter Klein and Konrad Paul Liessmann object to this utilitarian approach and argue that this understanding of competence is unsuitable, firstly for the humanities and arts education, and secondly, that the terms competence and knowledgeare pitted against each other, so the question about relevant contents is lost. A utilitarian concept of competence is unsuitable for the teaching of literature. The new test forms in Austria show exactly this. Competence within the meaning of literary education means: understanding of content, language and aesthetic form of literary texts, and also interpretation methodology, and basic knowledge of the cultural context. The author thus deems a minimum of a literary canon desirable.
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