Inhaltsangabe: Das Kulturerbe der Menschheit zeigt uns, dass die menschlichen Aktivitäten in vielen Bereichen des Lebens wie etwa Kunst und Literatur dazu beigetragen haben, Brücken zwischen verschiedenen Völkern zu schlagen. Eine unübersehbare Errungenschaft ist in diesem Zusammenhang die Übersetzung, die über Jahrtausende hinweg Verbindungen zu anderen Zivilisationen hergestellt und es nachfolgenden Generationen ermöglicht hat, Texte aus anderen Kulturkreisen kennenzulernen und zu verstehen. Offenheit gegenüber anderen und der respektvolle Kontakt miteinander sind nicht nur Komponenten von Kreativität und Inspiration sie bereichern auch und führen häufig zu innovativer Veränderung. Eines der schönsten Beispiele dafür ist der Gedichtzyklus "West-östlicher Divan" von Johann Wolfgang von Goethe (17491832). Mit diesem Werk hat Goethe das Kulturerbe der Menschheit um einen poetischen Schatz bereichert. Goethes Gedichtzyklus markiert den Versuch, "Ost" und "West" in einer überaus kultivierten Weise zusammenzuführen. Die einzelnen Gedichte verströmen Optimismus und Hoffnung und fordern auf zu Brüderlichkeit zwischen den Nationen und Völkern. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als Goethe bereits zu seiner Zeit die Idee einer Weltliteratur gefördert hat. Er glaubte an die Literatur als an eine Botschaft, die alle Menschen in Brüderlichkeit und Frieden vereinen kann: Große literarische Werke wirken über Landesgrenzen hinweg und werden insofern zum Eigentum der gesamten Menschheit. Den ersten Anstoß zu dieser Arbeit gab ein besonderes Erlebnis bei der Lektüre des Divan: Goethes Umgang mit allem Orientalischen wirkt auf ganz selbstverständliche Weise sicher, nahezu souverän. Nie entsteht der Eindruck einer gewaltsamen oder verkünstelten Verbindung. Nie wirkt das Orientalische wie Effekthascherei. Dieser Eindruck bleibt auch bestehen, wenn man parallel zum Divan die Originalwerke der orientalischen Literatur liest, auf die sich Goethe in seinen Gedichten bezieht. Der Divan hält einen Vergleich aus und wirkt weiterhin "echt". Aus diesem subjektiven Leseerlebnis entstand der Wunsch, das Phänomen "Orient" in Goethes West-östlichem Divan genauer zu untersuchen. Gang der Untersuchung: Im Anfangskapitel versuche ich, das "Orientalische" in Goethes Biographie aufzuzeigen. Der Divan ist ein Alterswerk. Welchen Einflüssen mit direkter oder indirekter Beziehung zum Orient war Goethe schon vorher in seinem Leben ausgesetzt? Inwieweit schlagen sich diese Beziehungen zum Orient schon vor dem Divan in seinem Werk nieder? Gibt es eine kontinuierliche Entwicklung zum Divan hin oder findet im Divan ein quantitativer und qualitativer Sprung statt? Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der unmittelbaren Entstehungszeit des Divan. Der Ausgangspunkt sind wieder Überlegungen zur Biographie. Wie lässt sich Goethes Lebenssituation in dieser Zeit charakterisieren? Welchen besonderen Wirkkräften war er ausgesetzt? Was konnte Auslöser zum Divan gewesen sein oder gewann zumindest direkten Einfluss auf die Niederschrift seiner Gedichte? Ich versuche, drei Einwirkungsbereiche die historische Situation, die Beziehung zu Marianne von Willemer und die Hafis-Lektüre genauer zu beschreiben, und gehe dabei von den biographischen Aspekten auf inhaltliche Fragen des Divan über. In einem dritten Teil nähere ich mich dem Divan dann mit einer besonderen inhaltlichen Fragestellung, die sich für mich sowohl aus der Biographie als auch aus dem Werk ergibt. Ich untersuche das Verhältnis von "Liebe" und "Orient" im Divan. Dabei möchte ich aufzeigen, wie eng diese Inhaltsbereiche miteinander verbunden sind und wie sie sich wechselseitig beeinflussen und in ihrer Wirkung verstärken. Auf diese Weise will ich auch das Besondere von Goethes Orient-Bild, das seine anhaltende Wirksamkeit auf Leser ausmacht, eingrenzen und verdeutlichen. In einem Schlussteil versuche ich die Ergebnisse des dritten Teils noch einmal auf die Biographie des Autors zu beziehen und einen Eindruck von der Bedeutung des Divan für Goethes Leben zu geben.
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