Die vorliegende Zusammenstellung der wichtigsten, neuzeitlichen Kirchenbauten vermittelt ein nicht gerade einheitliches, aber dennoch eindrucksvolles Bild. Wenn man von den ersten vereinzelten Versuchen absieht, stellt das Gezeigte eine erst fünfundzwanzigjährige Entwicklung dar, die mit der Kirche von Le Raincy ihren Anfang genommenhat. Diese kurze Zeitspanne verbietet in unserer schnellebigen Epoche ein abschließendes Urteil über die innereKraft und Fähigkeitdes neuzeitlichen Sakralbaues. Die Tatsache, daß neben manchen Verirrungen und ästhetischen Spekulationen Werke geschaffen wurden, die trotz diskutierbarer Eigenschaften Achtung und Bewunderung einflößen, berechtigt zu Hoffnungen für die zukünftige Entwicklung. Die gezeigtenBeispiele lassen sich in zwei stark verschiedene Gruppen unterteilen,wobei die von Le Raincy inspirierte und mannigfach abgewandelte Art konstruktivbedingte Gliederung und starke Auflösung der Mauern aufweist. Die zweite Gruppe, unter denen die neueren schweizerischen Beispiele eine eigene Richtung verfolgen, komponiert mit großen, ruhigen Flächen und relativ kleinen Fenstern und gelangt so ebenfalls zu eindrucksvollen Raumschöpfungen. Es wäre eine Verkennung der echten Probleme und Anliegen unserer Zeit, wollte maneine einseitige - untolerante Stellungnahme für die eine oder andere Richtung befürworten. Der Ausspruch von Perret: "Le mot style n'a pas de pluriel" sagt in knappen Worten, daß es überhaupt nur einen Stil gibt, den Stil der künstlerischen Persönlichkeit irgendwelcher Richtung. Die Tatsache, daß neben diesen zwei Haupttendenzennoch manche eigenwillige und ernsthafte Versuche einhergehen, ist für eine neu ansetzende Entwicklung, als welche wir die unsrige betrachten müssen, äußerst begrüßenswert. Die in vielschichtigen Bemühungen errungenen Erkenntnisse und Erfolge sind unentbehrliche Bausteine künftiger Gestaltung. So gesehen, erscheint es voreilig, das primäre Ziel unserer neuzeitlichen Architektur in der möglichst raschen Verschmelzung sämtlicher Richtungen zu einer einheitlichen, als "Stil" bezeichneten Formensprache zu sehen. Diese weitverbreitete, ungeduldige Einstellung, die einem Mangel an geschichtlichen Erkenntnissen entspringt, zeugt von einer Verkennung der zwingenden Folgerichtigkeit und zeitlichenBeharrlichkeit des geschichtlichen Ablaufes, - innerhalb welchem der Einzelne eben nicht Zentrum, sondern nur Bindeglied bedeutet. - Es ist zu hoffen, daß die Forderung nach echter Gesinnung und charaktervollem, künstlerischem Schaffen die fruchtlosen Diskussionen zwischen extremen Standpunkten ersetzen wird. Die Achtung vor fremder Leistung und Auffassung wächst mit der Erkenntnis, daß es nicht um eine bewußte, geschmackliche Gleichschaltung geht, sondern um die Förderung und Entfaltung aller künstlerischen Kräfte und der künstlerischen Persönlichkeit. Aus dieser Fülle verschiedenartigster Tendenzen - wird sich dann zwangsläufig diejenige Richtung über andere Bestrebungen erheben,welche den herrschenden, geistigen Voraussetzungen am meisten entspricht. (Schlussbetrachtung, S. 136)
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