Die mitunter freien, aber dennoch klar auf das Original verweisenden Adaptionen von Goethes Gedichten durch die Band Rammstein zeigen symptomatisch ein zu beobachtendes Phänomen in der Literaturgeschichte, das hier als "Arbeit am Klassiker" in Anlehnung an Blumenbergs "Arbeit am Mythos" betitelt wird. Texte und Narrative, denen ein allgemeiner Bekanntheitsgrad zu unterstellen ist, werden unter Nutzung dieses Bekanntheitsgrads über intertextuelle Verweise verwendet und variiert, kritisiert oder für die Erschließung neuer Perspektiven und Kontexte verwendet. Während Franz Schuberts Vertonungen von Goethes Gedichten "Heidenröslein" und "Erlkönig" eher darauf zielen, die 'lyrischen Qualitäten' der Gedichte durch die Intonierung weiter hervorzuheben und die Stimmung atmosphärisch greifbar zu machen, sind die Bearbeitungen durch Rammstein deutlich vielschichtiger, wobei die Bezugnahmen auf den stabilen 'Kern' von Goethes Gedichten und damit deren kanonisierten Status dennoch vorhanden bleiben. Damit kommt es zu einem ähnlichen Phänomen, wie Blumenberg es der Natur des Mythos zuschreibt, "daß er Wiederholbarkeit suggeriert, ein Wiedererkennen elementarer Geschichten". [.] Der Wiedererkennungswert dieser Geschichten bzw. in Goethes Fall der beiden Gedichte, zusammen mit ihren offenbar die Phantasie anregenden Inhalten beinhaltet eine Bedeutsamkeit, die ganz ähnlich zu der von Blumenberg dem Mythos attestierten, aufzufassen ist. Ihre Wiederholungen in verschiedenen medialen Kontexten steigern den Wiedererkennungswert, sodass dieser sich stets selbst aktualisiert, da die Bekanntheit überhaupt erst Grundlage für intertextuelle Verweisspiele ist und so der Rückgriff bzw. die "Arbeit am Klassiker" ein sich selbst stets wieder erweiterndes Geflecht aus Texten und anderen medialen Ausdrucksformen ist.
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