Der 2010 mit dem Büchner-Preis geehrte Autor hat mit seinen experimentell ambitionierten Romanen (zuletzt "Die Stille", BA 7/09) bislang recht kontroverse Kritiken erhalten und noch nie ein breiteres Lesepublikum erreicht. Auch sein neuer Roman, der im 25. Jahrhundert spielt und den Untergang der Planeten Mars und Erde als Folge eines gigantomanischen Technik-Projektes durchaus eindrucksvoll vor Augen stellt, wird viele Kritiker erst einmal ratlos machen und viele Leser überfordern. Jirgl berichtet in einer Mischung von Science-Fiction und kulturkritischer Parabel von 5 Jahrhunderten (künftiger) Menschheitsgeschichte, in denen sich der kriegerische Teil der Menschen auf dem Mars angesiedelt hat. Auf der Erde sind nur gentechnisch befriedete Menschen zurückgeblieben, die hier fast idyllisch leben - bis die "Marsianer" zurückkommen. Man muss sich durch die komplizierte Erzähltechnik und die sprachlichen Verfremdungstechniken des Buches erst einmal hindurchkämpfen, bis sich seine Handlungs- und Sinnzusammenhänge erschließen. Ein anspruchsvoller, anspielungsreicher Roman für literarisch versierte Leser. Im 23. Jahrhundert ist die Erde für die Raubgier der Märkte und Mächte zu klein geworden. So beginnt die Auswanderung der Starken auf Mond und Mars; auf Erden zurück bleibt nur die alte, schwache Menschheit. Schon zwei Jahrhunderte später erweist sich der Mars als so lebensfeindlich, dass die neuen Menschen zurückkehren und brutal die Macht auf der nun friedlichen Erde an sich reißen. Was wie eine düstere Science-Fiction-Vision klingt, ist ein grandioser Roman über die uralte Frage von Emigration und Heimkehr. Reinhard Jirgl, einer der wichtigsten Autoren der Gegenwartsliteratur in Deutschland, erzählt in unvergesslichen Bildern von Gier und Gewalt, Unterdrückung und Krieg, Leben und Tod. „Für seine bohrend-intensive Auseinandersetzung mit der Schrott-Welt namens DDR hat er den Büchner-Preis bekommen. Jetzt überrascht Reinhard Jirgl mit so etwas wie einem Science-Fiction. Wieso nur? ... Meine Faszination war wohl nicht zuletzt entzündet von der bohrend-intensiven Auseinandersetzung mit der Schrott-Welt namens DDR, die uns der 1953 in Ost-Berlin Geborene "aufhob" im Hegelschen Doppelsinn des Wortes. Von diesem Mini-Kosmos hat Jirgl sich nun mit seinem neuen Roman gänzlich gelöst, hat das Experiment gewagt, zwei (nicht gänzlich) getrennte narrative Ebenen zu verschränken, indem er unserer realen Welt die mögliche eines terrestrischen Exils auf dem Mars gegenüberstellt. Einerseits also die weit ausgespannte Parabel vom ausgedorrten, Hoffnung zertretenden Leben hienieden; in den Abschnitten dieser Unheilsprophetie betört der vokabuläre Gamba-Spieler den Leser. Der Ausflug ins All hingegen – schon das ja bereits ein eher vager Begriff – bleibt fahl. Insofern ist der Roman hochinteressant. Dass sich seine zwei Ebenen nicht verbinden, hängt damit zusammen, dass Jirgl hier wie bislang immer die Funken seiner Fantasie aus einem fast wütend bearbeiteten Stein Wirklichkeit schlug... Und nun geschieht etwas Seltsames, Enttäuschendes. Dieser wunderbare Sprachjongleur hat eine berauschende Wirklichkeitsfantasie. Er hat überhaupt keine Möglichkeitsfantasie. Seine Mars-Gegenwelt bleibt unüberzeugende Schimäre, liest sich viele viele Seiten hindurch wie eine Mischung aus Jules Verne und Karl May“ (Die Welt). Die Welt im 25. Jahrhundert, Menschen auf dem Mars, pazifistische Mutanten auf der Erde. Büchner-Preisträger Reinhard Jirgl wagt das ganz große Panorama, "eine Vermischung von Hochkultur und Fantasy-Momenten, wie sie im Moment kein anderer so anspielungsreich konzipieren kann. Dieser Autor ist im gegenwärtigen Literaturbetrieb eine einsame Größe." (Helmut Böttiger) (Platz 6 der SWR-Bestenliste, April 2013). Nominiert für die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2013
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