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Horizont ist optisch und räumlich eine Frage der Perspektive, sprachlich aber Sache der Präpositionen - und das ist so geblieben, auch nachdem Philipp von Zesen der Deutungshoheit von Zentralperspektive und neuzeitlichen Einzelwissenschaften, insbesondere Astronomie und Geographie, den fälligen Tribut zollte, indem er Horizont als 'Gesichtskreis' ins Deutsche übersetzte und so die Grenz- und Scheidelinie mit Rücksicht auf ihre subjektive Bedingtheit durch den jeweiligen 'Sehepunckt' relativierte. Dessen ungeachtet reden wir aber noch immer davon, dass etwas am, hinter, vor, unter oder über dem Horizont erscheint oder verschwindet. Der Reichtum der Präpositionen deutet Optionen an, die dem das Beschränkende betonenden Gesichtskreis fehlen. Und wer etwas hinter, unter, am Horizont sucht oder findet, bedient sich auch keineswegs automatisch einer Metapher. Albrecht Koschorke hat in seiner Geschichte des Horizonts u. a. unter Bezug auf Hans Blumenberg deutlich gemacht, dass der Horizont symbol- und metaphernresistent ist, gerade weil man ihn zwar jederzeit unmetaphorisch vor Augen haben kann (freie Umsicht vorausgesetzt), es sich aber gleichwohl nicht um einen empirisch-faktischen Gegenstand handelt, den man symbolisch ausdeuten oder im übertragenen Sinne verstehen könnte. [...] 'Horizont' ist aber bekanntlich auch eine Schlüsselvokabel in Husserls Phänomenologie und spielt eine besondere Rolle bei ihrem Weltbegriff. Der Begriff 'Welt' setzt bei Husserl der potentiell endlosen Iteration der Horizonte - dass sich hinter jedem ein neuer auftut - ein Ende. Ohne Husserl direkt zu nennen, beschreibt Blumenberg diese Operation am Anfang seiner Matthäuspassion. Das Problem der endlosen Vervielfältigung von Horizonten wird gelöst, "indem man 'im' [Hvh. E. G.] 'Horizont aller Horizonte', eine 'Welt' definiert". Blumenbergs Husserl-Paraphrase attestiert dem Universalhorizont der Phänomenologie aber schon seine Unhaltbarkeit. Der phänomenologische Weltbegriff bleibt ja selbst auf jenen Horizont bezogen, in dem er definiert wird und der deshalb nicht Teil dessen sein kann, was da definiert wird: Auch hinter tausend Horizonten erschließt sich keine abschließende Welt, sondern ein neuer Horizont. Diese Spitze gegen Husserls Weltbegriff, deren größere ideen- und philosophiegeschichtliche Implikationen und Konsequenzen Nicola Zambon kenntnisreich rekonstruiert hat,10 kann bei Blumenberg als Theoretiker der neuzeitlichen Vervielfältigung der Welten und der Horizonte eigentlich nicht überraschen. Und doch hat der frühe Blumenberg in einer für die späteren Bücher - mit Ausnahme der Matthäuspassion - atypischen Direktheit sein eigenes philosophisches Projekt ausdrücklich und emphatisch unter Bezug auf Welt und Horizont formuliert. In einem Feuilleton aus dem Jahr 1954 findet sich der bemerkenswerte Satz: "Für das Verständnis dieser ungeheuren geschichtlichen Krise, in der wir noch mitten darin stehen, muß nun alles darauf ankommen,[ ... ] ein Verstehen von Wirklichkeit vorzubereiten, das die ruinanten Erfahrungen des letzten halben Jahrhunderts aufzufangen und im Horizont einer Welt zu befassen vermag". u Ob und wie dieses zunächst erst einmal restaurativ anmutende Projekt, die geschichtlichen Erfahrungen "im Horizont einer Welt" zu befassen, versöhnt werden kann mit Blumenbergs Theorie der vielen und möglichen Welten, ist die Frage, die ich anhand einiger ausgewählter Passagen beantworten möchte, wobei ich mich weitgehend auf die Koppelung von Welt und Horizont beschränke.
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