Friedrich dem Großen (1712-1786) bleibt eine Kavaliersreise durch Italien Zeit seines Lebens verwehrt. Seine um drei Jahre ältere Schwester, Wilhelmine von Bayreuth (1709-1758), jedoch besucht die antiken Stätten und sendet ihrem Bruder einen Lorbeerkranz vom Grab Vergils bei Neapel. Zu diesem Andenken fügt sie einen Brief, in dem sie für ihren Bruder ein literarisch-allegorisches Bild schafft, und ein Gedicht ihres Reisebegleiters Charles Marie de La Condamine (1701-1774) beilegt, welches ihre Beschreibung poetisch überhöht. In ihrem Brief inszeniert Wilhelmine das Grab zum Orakel, aus dem die Stimme des Dichters dringt, ihren Bruder zum Apoll und sich selbst zur Muse erhebt. Stilistisch und inhaltlich hebt sich ihr Brief damit von anderen Briefen an ihren Bruder ab, welche sonst auf das Sehen und Beschreiben beschränkt sind, um dem Zurückgebliebenen das Buchwissen mit ihren Eindrücken zu ersetzen. Als Idee eines genius loci findet das Grabmal Eingang in die Gärten von Bayreuth, Sanssouci und Rheinsberg, wo es unter anderem die eigentliche Persönlichkeit des Königs repräsentiert – den Philosoph und Dichter.
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